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Logistik


           Diese Warengruppen werden früher oder später – dies
           zeigen vergleichbare westliche Kulturen, insbesonde-
           re der britische Markt – online gekauft und geliefert.
           Frische Waren aber, also Obst, Gemüse, Wurst, Fleisch
           und Fisch, werden weiterhin überwiegend im stati-
           onären Einzelhandel (wozu hier auch der klassische
           Wochenmarkt zählen soll) gekauft werden. Davon ist
           insbesondere auch deshalb auszugehen, da die gesell-
           schaftspolitische Diskussion um (a) das  Tierwohl bei                                                © Marc Bode – stock.adobe.com
           der Fleischverarbeitung und um (b) die schlechten Ar-
           beits- und Wohnbedingungen der in der Regel osteuro-
           päischen Arbeiter und Arbeiterinnen erst begonnen hat.

           Was nun aber die Einzelhandelsflächen und die damit   Nach einer Studie der Kreditversicherungsgruppe Euler
           korrespondierenden Logistikflächen in Form von Lägern   Hermes  werden branchenübergreifend  die deutschen
           und Umschlagsflächen  auf verschiedenen  vertikalen   Unternehmensinsolvenzen in 2021 zwölf Prozent über
           Stufen (Zentrallager bis Auslieferungslager) betrifft, so   denen von 2019 liegen (was gegenüber 57 Prozent in
           werden diese Corona-bedingt keine signifikante Verän-  den USA, 43 Prozent in UK und 25 Prozent in Frankreich
           derung erfahren. Warum auch? Dafür spricht die Erfah-  vergleichbar milde erscheint). Aber: In absoluten Zahlen
           rung seit Anfang März, als mit Ausnahme von Hamster-  ausgedrückt sind die vom Handelsverband HDE erwar-
           käufen bei Desinfektionsmitteln,  Toilettenpapier und   teten 50.000 Insolvenzen im deutschen Einzelhandel
           langlebigen Nahrungsmitteln (insbesondere Nudeln   für Unternehmer wie für Belegschaften gleichermaßen
           und Konserven) in den ersten Wochen der Krise keiner-  eine menschlich dramatische und existenziell bedrohli-
           lei Engpässe der Versorgung der Kunden zu verzeichnen   che Situation.
           waren. Besagte Hamsterkäufe wiederum sind auf – er-
           klärbares – risikoaverses Nachfrageverhalten der Kun-  Dass jedoch viele Innenstädte Deutschlands seit Jahren
           den zurückzuführen, was aktuell und künftig aufgrund   veröden und der dort ansässige Einzelhandel mit seinen
           der Widerlegung der Ängste in praxi nicht zu erwarten   Filialen vom Aussterben bedroht ist, dafür ist kein Lock-
           ist. Ergo sind, um den ganz großen Bogen zu spannen,   down ursächlich, sondern nur verschärfend. Die Erhö-
           nicht nur keine weiteren Lagerstufen des Handels zu er-  hung der innerstädtischen Attraktivität ist seit Jahren
           warten, auch Veränderungen bei der Flächennutzung in   eine conditio sine qua non für jeden Stadtentwickler
           der Landwirtschaft wie auch Veränderungen in der Pro-  und politisch Verantwortlichen.
           duktionsplanung der Lebensmittelindustrie sind eher
           unwahrscheinlich.




                                                        Professor Dr. Michael Schröder (*1970) lehrt seit 2009 an
                                                        der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW)
                                                        Mannheim  und  ist  Wissenschaftlicher  Leiter  des  du-
                                                        alen Masterprogramms „Supply Chain Management,
                                                        Logistics, Production“. Gelernter Industriekaufmann
                                                        (Stammhauslehre) bei Siemens, Studium und Promoti-
                                                        on an der Universität Mannheim, danach fünf Jahre Be-
                                                        rater bei TIM CONSULT, Mannheim, im Bereich Business
                                                        Logistics. Professor Schröder war Mitgründer des Logis-
                                                        tik-Netzwerkes Baden-Württemberg (LogBW) und war
                                                        zwölf Jahre Regionalgruppensprecher Rhein/Neckar der
                                                        Bundesvereinigung Logistik (BVL). Als Autor, Referent
                                                        und Moderator beleuchtet er immer wieder aktuelle
                                                        Veränderungen entlang der Wertschöpfungskette und       Hg: © whyframeshot – stock.adobe.com
                                                        stellt er sich insbesondere der den  Wirtschaftsstand-
                                                        ort  Deutschland  gefährdenden  Kritik  an  betrieblichen
                                                        Standortentscheidungen.



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