Page 8 - LogReal.direkt_Ausgabe_4_2020
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Logistik
Diese Warengruppen werden früher oder später – dies
zeigen vergleichbare westliche Kulturen, insbesonde-
re der britische Markt – online gekauft und geliefert.
Frische Waren aber, also Obst, Gemüse, Wurst, Fleisch
und Fisch, werden weiterhin überwiegend im stati-
onären Einzelhandel (wozu hier auch der klassische
Wochenmarkt zählen soll) gekauft werden. Davon ist
insbesondere auch deshalb auszugehen, da die gesell-
schaftspolitische Diskussion um (a) das Tierwohl bei © Marc Bode – stock.adobe.com
der Fleischverarbeitung und um (b) die schlechten Ar-
beits- und Wohnbedingungen der in der Regel osteuro-
päischen Arbeiter und Arbeiterinnen erst begonnen hat.
Was nun aber die Einzelhandelsflächen und die damit Nach einer Studie der Kreditversicherungsgruppe Euler
korrespondierenden Logistikflächen in Form von Lägern Hermes werden branchenübergreifend die deutschen
und Umschlagsflächen auf verschiedenen vertikalen Unternehmensinsolvenzen in 2021 zwölf Prozent über
Stufen (Zentrallager bis Auslieferungslager) betrifft, so denen von 2019 liegen (was gegenüber 57 Prozent in
werden diese Corona-bedingt keine signifikante Verän- den USA, 43 Prozent in UK und 25 Prozent in Frankreich
derung erfahren. Warum auch? Dafür spricht die Erfah- vergleichbar milde erscheint). Aber: In absoluten Zahlen
rung seit Anfang März, als mit Ausnahme von Hamster- ausgedrückt sind die vom Handelsverband HDE erwar-
käufen bei Desinfektionsmitteln, Toilettenpapier und teten 50.000 Insolvenzen im deutschen Einzelhandel
langlebigen Nahrungsmitteln (insbesondere Nudeln für Unternehmer wie für Belegschaften gleichermaßen
und Konserven) in den ersten Wochen der Krise keiner- eine menschlich dramatische und existenziell bedrohli-
lei Engpässe der Versorgung der Kunden zu verzeichnen che Situation.
waren. Besagte Hamsterkäufe wiederum sind auf – er-
klärbares – risikoaverses Nachfrageverhalten der Kun- Dass jedoch viele Innenstädte Deutschlands seit Jahren
den zurückzuführen, was aktuell und künftig aufgrund veröden und der dort ansässige Einzelhandel mit seinen
der Widerlegung der Ängste in praxi nicht zu erwarten Filialen vom Aussterben bedroht ist, dafür ist kein Lock-
ist. Ergo sind, um den ganz großen Bogen zu spannen, down ursächlich, sondern nur verschärfend. Die Erhö-
nicht nur keine weiteren Lagerstufen des Handels zu er- hung der innerstädtischen Attraktivität ist seit Jahren
warten, auch Veränderungen bei der Flächennutzung in eine conditio sine qua non für jeden Stadtentwickler
der Landwirtschaft wie auch Veränderungen in der Pro- und politisch Verantwortlichen.
duktionsplanung der Lebensmittelindustrie sind eher
unwahrscheinlich.
Professor Dr. Michael Schröder (*1970) lehrt seit 2009 an
der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW)
Mannheim und ist Wissenschaftlicher Leiter des du-
alen Masterprogramms „Supply Chain Management,
Logistics, Production“. Gelernter Industriekaufmann
(Stammhauslehre) bei Siemens, Studium und Promoti-
on an der Universität Mannheim, danach fünf Jahre Be-
rater bei TIM CONSULT, Mannheim, im Bereich Business
Logistics. Professor Schröder war Mitgründer des Logis-
tik-Netzwerkes Baden-Württemberg (LogBW) und war
zwölf Jahre Regionalgruppensprecher Rhein/Neckar der
Bundesvereinigung Logistik (BVL). Als Autor, Referent
und Moderator beleuchtet er immer wieder aktuelle
Veränderungen entlang der Wertschöpfungskette und Hg: © whyframeshot – stock.adobe.com
stellt er sich insbesondere der den Wirtschaftsstand-
ort Deutschland gefährdenden Kritik an betrieblichen
Standortentscheidungen.
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